6.11.2023 |

„Herr Doktor, meine Akte bitte!“

Bürgern, die Nachweise über ihren Gesundheitszustand haben möchten, steht nunmehr ein Recht auf Übergabe aller personenbezogener Daten gegenüber ihrem behandelnden Arzt zu – so der Europäische Gerichtshof (EuGH). Die Herausgabe muss kostenlos und inklusive aller Dokumente erfolgen. Auf niedergelassene Mediziner, aber auch für alle anderen im Gesundheitswesen Tätigen, kommt ein hoher Verwaltungsaufwand zu. Viele von Ihnen sind aber gar nicht vorbereitet.

 

Ohne Wenn und Aber. Und: Kostenlos

Gemäß der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO), die für alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union gilt, hat jeder das Recht auf Auskunft, wer welche personenbezogenen Daten über seine Person besitzt. Bis dato war unter Richtern umstritten, ob der Anspruch auch für einen Patienten gegenüber seinem Arzt besteht. Dem Zwist hat der EuGH mit seinem Urteil vom 27.10.2023 (Rechtssache
C-307/22 – „FT gegen DW“) nunmehr ein Ende gesetzt: Jeder Patient kann vom behandelnden Mediziner die Herausgabe seiner persönlichen Krankenakte fordern. Gründe müssen dafür nicht genannt werden. Auch muss der Patient bei seiner ersten Anfrage nichts bezahlen.

Geklagt hatte ein Patient aus Deutschland gegen seine Zahnärztin. Er war vor Gericht gezogen, weil er einen Behandlungsfehler nachweisen wollte, die Dentistin ihm aber nicht die für den Prozess notwendigen Unterlagen kostenlos zur Verfügung stellen wollte. Das Verfahren ging bis zum Bundesgerichtshof (BGH). Dort hatte man allerdings bedenken, ob man selbst entscheiden könne. Schließlich beruht der Auskunftsanspruch auf Artikel 15 der DSGVO und für dessen Auslegung ist der Europäische Gerichtshof zuständig.

Die Richter vom EuGH kamen zu dem Schluss, dass Artikel 15 der DSGVO auch anzuwenden ist, wenn ein Patient die Übergabe seiner Patientenakt begehrt. Eine Begründung, etwa zur Geltendmachung von Schadensersatz für behauptete Kunstfehler, ist nach Aussagen des Gerichts nicht erforderlich. Hinsichtlich des Umfangs der Patientenakte hat sich der Europäische Gerichtshof klar positioniert. Es sind vom Mediziner alle Dokumente zu übergeben, „wie beispielsweise Diagnosen, Untersuchungsergebnisse, Befunde der behandelnden Ärzte und Angaben zu (…) vorgenommenen Behandlungen oder Eingriffen“. Ebenso zu den Kosten äußerte sich der Europäische Gerichtshof konkret. Auch wenn der deutsche Paragraf 630g Absatz 2 Satz 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) eine Geldleistung für die Akte vorsehe, bleibe es bei der Kostenfreiheit für den ersten Antrag. Schließlich habe die DSGVO als juristische Vorschrift der EU hier Vorfahrt von dem nationalen BGB.

 

Papier, USB-Stick oder online?

Unbeantwortet hat der EuGH die Frage gelassen, ob die Angaben auf Papier ausgedruckt, auf einem USB-Stick oder online dem Patienten gegeben werden müssen. Sieht man sich die Grundkonzeption der DSGVO an, so spricht vieles dafür, dass dem Patienten die Akte in elektronischer Form zu übergeben ist. Das kann auch ein USB-Stick sein. Eine Online-Übermittlung dürfte in den meisten Fällen ausscheiden, da vielfach eine verschlüsselte Kommunikation mit dem Patienten nicht möglich ist.

 

Handlungsdruck für Ärzte und andere im Gesundheitswesen Tätige

Auch wenn die Entscheidung in Bezug auf einen niedergelassenen Mediziner ergangenen ist, gilt sie auch für alle anderen im Gesundheitswesen Tätigen. Dazu gehören nicht nur Krankenhäuser und Reha-Einrichtungen, sondern beispielsweise auch Psychologen und Physiotherapeuten.

Sie alle stehen nunmehr unter Handlungsdruck. Wer Begehren nach der Herausgabe der Patientenakte nicht oder verspätet erfüllt, sieht sich mit hohen Geldbußen konfrontiert. Sie liegen bei Selbständigen bei bis zu 20 Millionen Euro und bei Unternehmen (etwa einem Hospital) bei „bis zu vier Prozent des weltweit erzielten Jahresumsatzes des vorangegangenen Geschäftsjahrs“ (Art. 83 Absatz 5 Buchstabe b der DSGVO).

Es gilt folglich an den Stellschrauben zu drehen. Insbesondere in der IT und in der Gestaltung zu den Prozessen für die Beantwortung von Auskunftsbegehren auf eine Patientenakte. Das erfordert Zeit. Mit professioneller Unterstützung ist das indes kein Hexenwerk – weder in technischer noch in finanzieller Hinsicht.

 

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